Aus dem Leben der Seherin von La Salette, Melanie Calvat

(2. Teil) Die Jahre 1843 und 1844 hütete Melanie Schafe und Kühe bei einer Familie mit zwei erwachsenen Töchtern in Sainte-Luce. Man betete dort gemeinsam, besonders am Abend. Es war eine christliche Familie, Melanie hatte hier nicht viel zu leiden.
Auch einige kleine Freuden und „Erfolge“ durfte sie erleben. Hier geschah es schon zu Beginn ihrer Tätigkeit, dass die Tiere der anderen Herden von einem Wolf angegriffen wurden, Melanies Herde aber verschont blieb, weil sie bis zur Schneegrenze hinaufgestiegen und nicht bei den anderen Hirten geblieben war, um die ihr anvertrauten und noch wenig bekannten Tiere nicht mit den anderen Herden zu vermengen.
Mit einem im Gras gefundenen Sou kaufte sie sich eine bemalte Holzpfeife, die sie immer bei sich trug und auf der auch gelegentlich ihr „kleiner Bruder“ spielte.
Das nun aber folgende Jahr 1845, das Jahr vor der Erscheinung in La Salette, nannte Melanie das Jahr der Gnade oder das „gute Jahr“, weil es ihr durch die auftretenden Kreuze viele Gelegenheiten gab, Buße zu tun.
An ihrer ersten Arbeitsstelle in St. Michel - Melanie war nun knapp 13 Jahre alt - hatte die Familie mit einem kleinen Kind von zwei oder drei Jahren nur ein Bett. Ihre Arbeitgeber gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass auch Melanie dort schlafen würde. Doch diese weigerte sich mehrere Tage standhaft und kniete, statt zu Bett zu gehen, lieber nieder zum Gebet. Erst am vierten Tag stellten ihr die Eheleute einen Schweinetrog am Fußende ihres Bettes hin, gefüllt mit getrockneten Disteln, aber zu kurz, um sich ausstrecken zu können. Todmüde nahm Melanie aber dieses „Bett“ gerne an.
Ein Knabe aus Corps, der im selben Dorf Dienst leistete und einmal früh am Morgen vorbei kam und zufällig gesehen hatte, wo und wie Melanie schlafen musste, erzählte davon in Corps. Die Mutter ließ sie unter dem Vorwand, sie selbst brauche Melanie aus Gesundheitsgründen, nach Hause rufen.
Als Melanie ankam, war ihre Mutter aber gesund, und Melanie wurde wenige Tage später einer Familie Le Moine in Quet-en-Beaumont übergeben. Hier wurde die Lage für Melanie aber nicht leichter, sondern noch viel schlimmer. Die Familie, Vater, Mutter, ein Sohn und eine Tochter, beide im Alter zwischen 20 und 25 Jahren, war polizeibekannt und ging immer wieder auch mehrere Tage oder Wochen auf Raubzüge.
Neben einer Kuh und einigen Ziegen musste Melanie hier immer auch zwei Stiere auf die Gemeindewiese bringen und sie immer im Stall los- und am Abend wieder anbinden. Am ersten Tag hatte ihr die Tochter geholfen, dann aber musste sie diese Arbeit, ausgerüstet nur mit einem dicken Stock, allein verrichten. Da fiel ihr ein, wie ihr himmlischer „Bruder“ ihr einmal erklärt hatte, dass vor dem Sündenfall selbst die wildesten Tiere dem Menschen gehorsam waren. Da sie wusste, dass sie durch das Blut Christi zu einem Gotteskind geworden war, befahl sie ihren „wilden Kühen“, wie sie die Stiere nannte, im Namen der Verdienste dieses Blutes, ruhig zu bleiben. „Im Stall angekommen, band ich sie ohne Mühe an“, berichtet sie dann weiter (Gouin, Paul, Melanie, die Hirtin von La Salette, a.a.O., S. 62).
Auch in diesem Haus gibt es nur zwei Betten. Doch als sie sich hier weigert, mit der Tochter und dem Sohn in einem Bett zu schlafen, ergreift sie der Vater, der auch sonst den ganzen Tag viel flucht, zornig brüllend bei den Haaren, verlangt nach der Axt und schlägt ihren Kopf auf den Fußboden. Melanie erleidet Todesangst und spricht das Glaubensbekenntnis. Doch plötzlich verschwimmt alles um sie herum, sie hört wunderbare Musik, Jungfrauen schenken ihr geheimnisvolle Blumen, die sie der Muttergottes weiterreicht. Jesus trägt eine Palme in der Hand und zeigt ihr so, dass ihr Opfer angenommen wurde. Da erwacht sie wieder, am Boden liegend, die Augenlider mit Blut verklebt, die Haare teils ausgerissen, neben ihr ein zerbrochener Stuhl. Ihre Peiniger streiten sich noch immer, sie geht leise hinaus, wäscht sich in einer Viehtränke und verschwindet für den Tag mit ihrer Herde.
Erst als die Tochter das Bett nach einigen Tagen in der Mitte mit einem Brett teilt, lässt sich Melanie von ihr nach einigem Widerstreben dazu überreden, nun dort zu schlafen. Und als in der Erntezeit alle in einer Hütte durcheinander schliefen, legte Melanie sich draußen unter dem Sternenhimmel nieder.
Als sie sich einmal weigerte, auf fremden Feldern Garben zu stehlen, wirft ihr Patron ihr schimpfend Steine nach, die ihr zwei Zähne brechen und sie, auch am Kopf getroffen, betäubt niedersinken lassen.
Da sie meist nur verschimmeltes Brot bekommt, erlauben ihr die Dorfbewohner bald, auch Früchte aus ihren Gärten zu holen, und versuchen auch, sie gegen Gewalttätigkeiten zu schützen. Als Melanie eines Abends mit ihrer Herde zum Haus zurückkommt, ist es verschlossen. Eine Nachbarin erklärt ihr, dass die Le Moines zum Plündern ausgezogen sind. Das wiederholt sich öfter. Weil Melanie jetzt selbst bei strömendem Regen draußen vor der Tür schlafen muss, lässt sie die Nachbarin bei sich übernachten. Doch Melanie hat tagsüber nur wenig zu essen. Sie lebt oft nur von Nüssen am Wegrand, bekommt Furunkel und Geschwüre, und bricht eines Tages ohnmächtig im Gras nieder. Da erscheint ein Unbekannter und reicht ihr drei kleine runde weiße Brote mit einem Kreuzzeichen darauf, Sie erfährt dabei eine wunderbare Stärkung.
Melanie dankt der Vorsehung, macht sich aber auch Sorgen, dass sie wohl bisher zu wenig für Jesus getan hat. Da hört sie eine sanfte und durchdringende Stimme mitten aus einem starken Licht: „Das, was du tun wolltest, gilt in den Augen des ungeschaffenen Wesens als die Tat“ (ebd., S. 64).
Als der Vater schließlich von den Verhältnissen und Vorfällen an Melanies Dienstort erfährt, ruft er sie zurück, obwohl das Dienstjahr eigentlich erst an Allerheiligen enden sollte, und bestimmt, dass sie vorläufig zu Hause bleiben und nicht mehr in diese Familie zurückkehren dürfe.
Die Wintermonate eigneten sich gut, um auch an den Katechismusstunden teilzunehmen. Doch oft muss sie gerade in dieser Zeit von der Mutter aus Holz sammeln, um zu Hause Feuer machen zu können. Wenn sie dann zu spät zum Katechismusunterricht kommt, muss sie zur Strafe mitten in der Kirche niederknien. Oft kann sie an den Stunden auch gar nicht teilnehmen. Und da sie nicht lesen kann, kann sie sich auf die folgenden Katechismusstunden auch nicht vorbereiten oder die Aufgaben zu Hause lernen.
Als sie wieder einmal nicht zur Katechismusstunde kommt, teilt der Vikar ihrem Bruder Henri mit, dass sie, obwohl schon bald 15 Jahre, dieses Jahr nicht zur Ersten Kommunion gehen darf. Das drückt das Mädchen sehr nieder, doch sie betet weiter, auch bei all den ihr aufgetragenen Arbeiten. Sie durfte auch die Stimme des Lichtes vernehmen, die zu ihr sagte: „Halte fest an der Treue und bete“.
In den ersten Frühlingstagen dieses Jahres 1846, das schließlich durch die wunderbare Erscheinung Mariens am 19. September und durch den dabei an sie und an Maximin ergangenen Auftrag ihr ganzes Leben veränderte, wurde ihr, die nicht zur heiligen Kommunion durfte, unvermittelt eine ganz besondere Gnade zuteil.
Eines Tages wollte ihre Mutter allein sein und schickte deshalb Melanie und ihre Geschwister „zum heiligen Rochus“. Gemeint war eine kleine runde Kapelle mit einem Türmchen, auf einem Hügel oberhalb von Corps gelegen, von wo man einen schönen Ausblick auf das Städtchen, den darunter liegenden See und das Gebirgspanorama hat mit all den großen und kleineren Bergen, welche die Stadt umgeben.
Die Geschwister wollten dort spielen und liefen „den kleinen Hügel hinunter, auf dem die Kapelle steht“, erzählt Melanie. „Ich meinerseits fand Freude daran, die Statue des heiligen Rochus durch die zwei kleinen Fenster zu betrachten, und ich betete zu diesem guten Heiligen, um beim lieben Gott die Gesundung meiner Seele zu erbitten, damit ich weder meinem geliebten Jesus Christus, noch Seiner Mutter, jemals mehr Kummer bereite … da betete ich fünf Gloria Patri zu unserem Herrn für die Gnaden, die Er diesem Heiligen hat zuteil werden lassen“ (Gouin, a.a.O., S. 20f.).
Da hörte sie auf einmal die sanfte und tröstende Stimme ihres „kleinen Bruders“, den sie von frühen Kindestagen her schon kannte: „’Meine teure Schwester, meine Herzensschwester, ich gehöre dir … ich komme auf Geheiß des Allerhöchsten, um mich an deinem Sieg zu freuen“ (ebd., S.21). Gemeint waren die Leiden, die sie an ihren beiden letzten Arbeitsstellen für Jesus erduldet hat.
Melanie erinnert ihn nun an das ihr einst gegebene Versprechen, ihn küssen zu dürfen, wenn einst die Stunde gekommen sei. „Mit einem zärtlichen Lächeln sagte er mir, dass nicht ich es sei, die ihn küsse, sondern er mich“ (ebd., S. 21). Und er küsste sie, segnete sie und verschwand.
In den folgenden Monaten dient sie dann wieder als Hirtin bei einer Familie in dem kleinen Weiler Les Ablandins, hoch oben über La Salette gelegen, das sich in einem kleinen Seitental rechts der Isère oberhalb von Corps befindet. Hier über den Niederungen des gewöhnlichen menschlichen Daseins, in der Stille der Berge, auf die sie als Hirtin mit ihren Kühen steigen musste, durfte sie dann auch am 19. September 1846 mit Maximin zusammen Maria schauen, die weinend zur Umkehr aufrief.
Dieser 19. September war in jenem Jahr der Quatembersamstag, an dem die Kirche betet: „Übe Nachsicht, o Herr, mit unseren Sünden, auf dass nicht die Heiden sagen: wo ist denn ihr Gott?“ (Graduale nach der ersten Lesung). Dieser Samstag war nach bestimmten Zeugnissen zu jener Zeit in Frankreich auch der Tag, an dem das Fest der sieben Schmerzen Mariens eingeläutet wurde, das wir heute am 15. September feiern.
Die Hirtenkinder Melanie und Maximin trafen hier erst einen Tag vor der Erscheinung aufeinander und waren auch kurz nach der Erscheinung nicht mehr beieinander, da Maximin den Ort wieder verließ.
Durch diese Fügung war es unmöglich, dass die Kinder bei ihren Berichten über die Erscheinung alle Umstände bis in die kleinsten Details je miteinander hätten absprechen können, Details, die sie aber doch in voneinander unabhängigen Verhören und vor allen, die sie befragten, dennoch stets widerspruchsfrei wiedergeben konnten.
Melanie entschloss sich im Jahre 1878, die Umstände der Erscheinung im Herbst 1846 sowie das ihr damals anvertraute Geheimnis, das sie auf Geheiß der Gottesmutter frühestens im Jahr 1858 bekannt machen durfte, niederzuschreiben.
Sie berichtet, dass sie am 18. September wie gewöhnlich die Kühe ihrer Herrschaft gehütet habe, als am späten Vormittag ein anderer kleiner Hirte zu ihr kam und bei ihr bleiben wollte, da auch er aus Corps sei.
Melanie wollte aber lieber allein sein und entfernte sich immer wieder, wenn der Kleine ihr nachlief. Sie schreibt: „Aber Maximin gab es nicht auf, mir wieder zu sagen, dass er artig sein werde, dass er nicht sprechen werde, dass er sich langweile und dass ihn sein Herr zu mir geschickt habe usw. Da bekam ich Mitleid und gab ihm ein Zeichen, sich zu setzen, und ich fuhr in der Zwiesprache mit den kleinen Blumen des Lieben Gottes fort.
Maximin brach das Schweigen sehr schnell und fing an zu lachen … und meinte, die Blumen hätten keine Ohren, um mich zu hören, und wir sollten doch zusammen spielen. Aber ich hatte keinerlei Neigung für das Spiel, das er vorschlug…“ (Gouin, a.a.O., S. 70f.).
Als es zum Angelus läutet, erheben die Kinder ihre Herzen für einige Augenblicke zu Gott, dann essen sie miteinander ein Stück Brot, das Melanie von ihrer Herrschaft mitbekommen hat, sowie Beeren, die sie in der Nähe finden.
„Abends stiegen wir gemeinsam talwärts und verabredeten, unsere Kühe nun gemeinsam zu hüten. Am darauf folgenden Tag, dem 19. September 1846, machte ich mich zusammen mit Maximin auf den Weg… Ich fand, dass Maximin sehr gutmütig und verträglich war … Er war auch sehr verständig … nur ein wenig neugierig war er. Wenn ich mich von ihm etwas entfernte …, kam er schnell herbeigelaufen, um zu sehen, was ich tat und um zu hören, was ich mit den Blumen des Lieben Gottes sprach“ (ebd., S. 71f.).
Bei klarem und wolkenlosem Himmel hörten sie wieder den Angelus läuten, gaben dem lieben Gott die Ehre, trieben die Kühe zu einer kleinen Ebene und aßen wieder ihr Mittagsbrot. Maximin hatte Melanie gebeten, ihm ein Spiel zu zeigen, und sie schlug vor, ein „Paradies“ aus Steinen zu bauen, d.h. ein kleines Haus mit einem Erdgeschoss als Wohnraum und darüber ein Geschoss, das ganz mit Blumen und Girlanden geschmückt wurde, welches Melanie „Paradies“ nannte.
Sie waren darüber müde geworden und schliefen ein. Als sie wieder erwachten, stieg Melanie einen kleinen Hügel empor, weil sie die Kühe nicht mehr sah. Sie fand sie friedlich lagern und kehrte um, während Maximin ihr entgegeneilte. Da zeigte sich plötzlich ein helles Licht, strahlender als die Sonne. „Ich weiß nicht, was in diesem Augenblick Köstliches in mir vorging, aber ich fühlte mich angezogen, ich fühlte mich überwältigt von Ehrfurcht und mein Herz lief schneller als ich selbst konnte“, schreibt Melanie darüber. „Als es sich öffnete, sah ich darin ein noch stärkeres Licht, das sich bewegte, und mitten in diesem Licht erblickte ich eine sehr schöne Frau, die auf unserem ‚Paradies’ saß und ihr Gesicht zwischen ihren Händen hielt. Diese schöne Frau erhob sich. Sie faltete ihre Arme leicht über der Brust, als sie uns anblickte, und sagte: ‚Kommet her, meine Kinder, habt keine Angst, ich bin hier, um euch eine große Botschaft mitzuteilen’.
Diese sanften und die Seele labenden Worte ließen mich zu ihr fliegen, und mein Herz hätte sich am liebsten für immer an sie gepresst. Als ich ganz nahe zur Rechten der schönen Dame angelangt war, begann sie ihre Rede, und gleichzeitig flossen Tränen aus ihren schönen Augen: ‚Wenn mein Volk sich nicht unterwerfen will, so bin ich gezwungen, den Arm meines Sohnes fallen zu lassen; er ist so drückend und schwer, dass ich ihn nicht zurückhalten kann. Seit wie lange schon leide ich um euch! Wenn ich will, dass euch mein Sohn nicht aufgibt, so muss ich ohne Unterlass zu Ihm beten. Aber das rührt euch nicht. Ihr könnt beten und euch bemühen, so viel ihr wollt, nie mehr könnt ihr die Mühe vergelten, die ich mir für euch gegeben habe. Sechs Tage habe ich euch zum Arbeiten gegeben und den siebten habe ich mir ausbedungen, und ihr wollt ihn mir nicht zugestehen’“ (Maria spricht hier die Worte und Gedanken ihres göttlichen Sohnes aus, Anm.d. Verf.). „’Das ist es, was den Arm meines Sohnes so schwer macht. Die Kärrner (= Fuhrleute, Anm.) reden nur, wenn sie meinem Sohne fluchen. Das sind die beiden Dinge, die den Arm meines Sohnes so schwer machen. Wenn die Ernte verdirbt, so ist es eure Schuld. Letztes Jahr habe ich es euch bei den Kartoffeln zu verstehen gegeben. Es hat euch nicht aufgeregt. Im Gegenteil: Wenn ihr verfaulte fandet, so habt ihr geflucht und den Namen meines Sohnes missbraucht. Sie werden weiter verfaulen, und an Weihnachten wird es keine mehr geben. … Wenn ihr Getreide habt, so sät es nicht.
Alles, was ihr sät, werden die Tiere fressen. Was jedoch hervorkommt, wird – wenn ihr es dreschen werdet, - in Staub zerfallen. Es wird eine große Hungersnot geben. Ehe diese Hungersnot kommt, werden die Kinder unter sieben Jahren von einem Fieber geschüttelt werden und in den Händen der Menschen, die sie halten, sterben; die anderen werden durch den Hunger Buße tun. Die Nüsse werden schlecht werden und die Trauben verfaulen’.
Hier hielt die schöne Frau, die mich entzückte, inne… Nun bekam Maximin sein Geheimnis mitgeteilt. Dann wandte sich die Allerseligste Jungfrau an mich und teilte mir ein Geheimnis in Französisch mit“ (Gouin, a.a.o., S.72ff.).
Über diese Geheimnisse, die sie im Auftrag der Gottesmutter erst ab 1858 enthüllen sollten, wurde nach den Erscheinungen viel spekuliert. Als das Jahr 1858 gekommen war, versuchte Melanie den Inhalt allmählich bekannt zu machen, und in dem zitierten Bericht aus dem Jahr 1878 über die Erscheinung bringt sie eine vollständige Darstellung dieser Worte der heiligen Jungfrau, auf die wir später nochmals zu sprechen kommen. Bis heute gibt es widersprüchliche Meinungen darüber, ob die Kirche den Text eher gutgeheißen oder abgelehnt hat, da von manchen Bischöfen oder auch von manchen Stellen in Rom selbst eher ein Verschweigen als eine Verbreitung angeordnet wurde.
Es geht in dem von Melanie 1878 veröffentlichten Geheimnis – eine erste Niederschrift des „Geheimnisses“ erfolgte in kirchlichem Auftrag bereits 1851 und wurde dann versiegelt an Papst Pius IX. gesandt – um einen dringlichen Aufruf zu Buße und Gebet, vor allem an die Hirten der Kirche, die durch ihr schlechtes Verhalten Unheil über die Welt bringen und die Ankunft des Antichristen und schwerer Züchtigungen beschleunigen, der mit Scheinwundern schließlich die Welt verführen soll. Doch es wird auch verheißen, dass der Erzengel Michael schließlich den „Herrn der Finsternis“ besiegen und die Menschen auch wieder Gott dienen werden.
Maria fügte auch noch eine Regel für einen neuen geistlichen Orden bei und verheißt den Menschen, denen soeben das Schrecklichste vor Augen gestellt wurde, wenn sie weiter machen wie bisher: „Wenn sie sich bekehren, werden sich die Steine und Felsen in Getreide verwandeln, und die Kartoffeln werden in der Erde eingepflanzt sein“ (ebd., S. 80). Das Geheimnis ist also nicht als unabwendbares Schicksal übergeben, dem der Mensch nur willen- und tatenlos zusehen kann (wie es bei heidnischen „Prophezeiungen“ oft vorgestellt wird), sondern als Botschaft, sich zu bekehren und der Liebe Gottes wieder zuzuwenden, damit all das Schreckliche, das der Fürst der Unterwelt mit den Menschen vorhat und das sie wegen ihrer Sünden trifft, nicht Wirklichkeit werden kann!
Die Prophetie von La Salette ist wie alle christliche Prophetie ein Aufruf der Liebe Gottes, kein Befriedigen von Neugier, die den Menschen ohne den Willen zur Besserung ja nicht zum Heil führt, zu dem Gott den Menschen ruft.
Die Botschaft Gottes ist der Aufruf zur Besserung, ein Aufruf der Liebe, keine Fesselung des Menschen durch die Ankündigung eines unabwendbaren Schicksals. Einem solchen wären wir, wie es heidnische „Prophetie“ oder die abergläubische Sucht nach einem Blick in die Zukunft oft darstellen, blind und ohne Hilfe von oben verfallen, wenn Christus uns nicht von der Sünde erlöst hätte und erlösen wollte.


(Fortsetzung folgt)

Thomas Ehrenberger



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